Neonaziszene

[Recherche] Die „Freien Kräfte Neuruppin / Osthavelland“ – Analyse eines neonazistischen Netzwerkes in Brandenburg

Die “Freien Kräfte Neuruppin / Osthavelland” veranstalten am 6. Juni 2015 den so genannten “Tag der deutschen Zukunft”. Zu diesem Aufmarsch werden ungefähr 500 Neonazis aus dem gesamten Bundesgebiet erwartet. Es könnte eine der größten neonazistischen Versammlungen der letzten Jahre im Land Brandenburg werden. Grund genug, um einen näheren Blick auf die Organisation und ihre Protagonist*innen zu werfen.

Freie Kräfte Neuruppin: Beatrice Koch, Marvin Koch, und Christoph Meinecke (v.l.n.r.) am 28. März 2015 in Wittstock/Dosse(Foto: Presseservice Rathenow)

Die „Freien Kräfte Neuruppin / Osthavelland“ (NSFKN) sind eine seit 2009 bekannte, vereinsähnliche Gruppierung im Nordwesten Brandenburgs. Die Gruppe ist als Netzwerk von „freien“ Kadern aus den Landkreisen Ostprignitz-Ruppin, Prignitz und Havelland organisiert. Darüber hinaus gibt es aber auch Schnittstellen zu neonazistischen Parteien. Überwiegend fallen die „Freien Kräfte Neuruppin / Osthavelland“ jedoch durch einen ausgeprägten Aktionismus auf. Die Gruppe gilt deshalb auch als aktivste Neonazivereinigung im Nordwesten Brandenburgs.

Wurzeln
Die Wurzeln der „Freien Kräfte Neuruppin / Osthavelland“ liegen in der Mitte der 2000er Jahre. In dieser Zeit fielen die Köpfe der Gruppierung erstmals bei neonazistischen Demonstrationen auf. Aus dem Nichts sind die „Freien Kräfte Neuruppin / Osthavelland“ jedoch nicht entstanden. Bereits in den 1990er Jahren gab es in und um die Fontanestadt Neuruppin eine größere Neonaziszene, die einerseits durch brutale Gewaltdelikte, wie den Mord an Emil Wendland am 1. Juli 1992, andererseits aber auch durch politische Organisierung auffiel. Am 26. April 1999 und 22. September 2001 fanden beispielsweise erste Aufmärsche der NPD in Neuruppin statt. Zudem hatten die Neonazis der Region im Neuruppiner „Bunker“ einen festen Anlaufpunkt. Weiterhin hatte die Szene mit Alt-Nazi Wilhelm „Opa“ Lange, der Anfang der 1990er Jahre aus Schwelm (Nordrhein-Westfalen) nach Neuruppin übersiedelte, bis zu seinem Tod 2012 eine wichtige Integrationsfigur, die Generationen von Neonazis als „Sozialarbeiter“ betreute und ihr neonazistisches Weltbild aufbaute. Darüber hinaus existierte bereits Anfang der 2000er Jahre eine gemeinsame NPD Achse zwischen Neuruppin und Nauen.

Andererseits war die Mitte der 2000er Jahre von einem verstärkten staatlichen Vorgehen gegen das Neonazimilieu geprägt. Das erste NPD Verbotsverfahren wurde eingeleitet und mehrere neonazistische Kameradschaften in Brandenburg verboten. Zudem hatten sich einige überzeugte Neonazis aus der NPD verabschiedet, denen die Partei nicht mehr rassistisch genug war. Auch die nationaldemokratische Szene im Landkreis Ostprignitz-Ruppin lag danieder. Genau in dieser Zeit, also seit spätestens Ende 2006 begann sich die Keimzelle „Freien Kräfte Neuruppin / Osthavelland“ zu bilden. Es war eine überschaubare Gruppe junger Aktivist_innen um Beatrice und Marvin Koch, Pierre Boddin, Dave Trick, Erik Brüning, Sebastian Allion und Maik Schneider, die aus der Umgebung von Neuruppin stammten bzw. im östlichen Havelland wohnhaft waren und nun versuchten die Szene zu beleben.

Einfluss und Beeinflussung der NPD

Freie Kräfte Neuruppin und NPD: Erik Brüning am 23. Juni 2014 im Kreistag Havelland in Rathenow(Foto: Presseservice Rathenow)

Noch bevor die „Freien Kräfte Neuruppin / Osthavelland“ erstmals als Gruppe in Erscheinung traten, beteiligten sich deren spätere Mitglieder und Sympathisant_innen an einer ganzen Reihe von Aufmärschen der nach dem gescheiterten Verbotsverfahren wiedererstarkten NPD. Erstmals war dieser Personenkreis, darunter Marvin Koch, Pierre Boddin, Erik Brüning und Maik Schneider bei einer Parteiveranstaltung am 21. Oktober 2006 in Berlin anwesend. Bei der Versammlung handelte es sich um eine Sympathiedemonstration für den inhaftierten Sänger der neonazistischen Musikgruppe „Landser“. Am 27. Januar 2007 trugen Beatrice und Marvin Koch, Dave Trick, Erik Brüning und Maik Schneider, während eines Aufmarsches der NPD in Frankfurt (Oder), ein Banner der Partei bzw. liefen unmittelbar dahinter. Weiterhin nahmen diese und weitere Personen der späteren „Freien Kräfte Neuruppin / Osthavelland“ an Parteiveranstaltungen in Rostock, Strausberg, Rathenow, Detmold, Werder (Havel) und anderen Orten teil. Im Jahr 2008 zog Maik Schneider im Zuge der Kommunalwahlen als NPD Abgeordneter sowohl in die Stadtverordnetenversammlung von Nauen als auch in den havelländischen Kreistag ein. Zum NPD Landesparteitag 2010 waren Beatrice Koch und Erik Brüning als Delegierte sowie Pierre Boddin als Ersatzdelegierter berufen worden. Des Weiteren nahm u.a. Beatrice Koch und Maik Schneider an Vorstandsitzungen des NPD Kreisverbandes Havel-Nuthe in einer Nauener Gaststätte teil. 2011 gründete der zugezogene Neonazi Dennis Franke den NPD Stützpunkt Neuruppin, wurde dessen Leiter und holte im selben Jahr den NPD Bundesparteitag in die Stadt. Die Verbindungen zwischen NPD und „Freien Kräften“ wurden abermals offensichtlich, als Franke wegen seiner Hakenkreuz-Tattoos zurücktreten musste und dafür Dave Trick den Stützpunktvorsitz übernahm. Anschließend folgten immer wieder Kundgebungen der Neuruppiner NPD, zudem wurde der Kreisverband Prignitz-Ruppin reaktiviert. Im Zuge der Brandenburger Kommunalwahlen, am 25. Mai 2014, zogen Dave Trick und Erik Brüning für die NPD in verschiedene Regionalparlamente ein. Trick wurde Stadtverordneter in Neuruppin, Brüning in Nauen. Darüber hinaus wurde letztgenannter auch als Abgeordneter in den Havelländischen Kreistag gewählt. Maik Schneider wurde hingegen nicht wiedergewählt.

Organisierung als Freie Kräfte

Freie Kräfte Neuruppin: Pierre Boddin am 15. Mai 2015 in Nauen(Foto: Presseservice Rathenow)

Neben der Nähe zur NPD suchten Beatrice und Marvin Koch, Pierre Boddin, Dave Trick, Erik Brüning und Maik Schneider – eventuell um gegen staatliche Verbote gewappnet zu sein – auch nach alternativen Organisationsformen. Ein Beispiel hierfür war der neonazistische so genannte „Kampfbund Deutscher Sozialisten“ (KDS), der, parteistrategisch gesehen, vor allem ein Querfrontkonzept verfolgte und politisch rechte und linke Strömungen unter dem Dogma eines „deutschen Sozialismus“, mit antikapitalistischen, radikalen antiamerikanischen sowie „antizionistischen“ Tendenzen, vereinen wollte. In Neuruppin führte diese Vereinigung am 1. September 2007 einen Aufmarsch mit ungefähr 70 Teilnehmer*innen, darunter auch Beatrice und Marvin Koch, Dave Trick, Erik Brüning, Maik Schneider sowie Sebastian Allion, durch. Ein langfristiger Strukturaufbau scheiterte jedoch. Der KDS löste sich im Jahr 2008 auf.

Beatrice Koch, Pierre Boddin, Dave Trick und Sebastian Allion traten anschließend, beispielsweise am 14. Februar 2009 in Dresden, als „Freie Aktivisten Neuruppin“ auf. Wenig später erfolgte dann die Umbenennung in „Freie Kräfte Neuruppin / Osthavelland“. Eine erste Internetseite wurde bekannt, die als Sprachrohr der Gruppe diente. Hier stellten sich die „Freien Kräfte Neuruppin / Osthavelland“ erstmals vor und veröffentlichten Texte und Meinungen zu Aktionen und dem politischen Weltgeschehen. Der Mitteilungsbedarf der Gruppe setzte sich auch dann fort, als die erste Internetseite, mutmaßlich wegen Hackerangriffe, gegen sichere Webpräsenzen ausgetauscht wurden.

Und dass die „Freien Kräfte Neuruppin / Osthavelland“ nicht nur im Netz aktiv sind oder zu Veranstaltungen befreundeter Strukturen fahren, zeigte sich dann am 5. September 2009. An diesem Tag veranstalteten die Gruppe unter dem, an die alte KDS-Linie anknüpfenden Motto „Gegen Krieg und Imperialismus“ ihren ersten eigenen Aufmarsch in Neuruppin. Dabei liefen u.a. Beatrice und Marvin Koch, Pierre Boddin, Dave Trick, Erik Brüning und Sebastian Allion mit und übernahmen wichtige Organisationsaufgaben. Weitere Aufmärsche folgten nur wenige Wochen später, am 13./14. November 2009 in Fehrbellin OT Hakenberg und am 21. November 2009 in Teupitz (Landkreis Dahme-Spreewald). Am 27. März 2010 veranstalteten die „Freien Kräfte Neuruppin / Osthavelland“ einen Aufmarsch unter dem Motto „Nationaler Sozialismus statt Kapitalfaschismus“ – ein weiterer offensichtlicher Anklang an die alte KDS Ideologie. Die Veranstaltung fand ebenso in Neuruppin statt, wie die folgenden am 9. Juli 2011, am 24. September 2011 und am 14. April 2012.

Stützpunkt Nauen

Freie Kräfte Neuruppin: Dave Trick und Nick Zschirnt (v.l.n.r.) am 4. Oktober 2014 in Döbeln (Foto: Presseservice Rathenow)

Neben ihrer Hauptbasis im Landkreis Ostprignitz-Ruppin, haben die „Freien Kräfte Neuruppin / Osthavelland“ auch eine Verbindung in die osthavelländische Kleinstadt Nauen. Zumindest Beatrice Koch, Pierre Boddin und Erik Brüning waren hier zeitweise wohnhaft. Maik Schneider hat(te) dort ebenfalls eine Meldeadresse. Sebastian Allion soll, gemäß eigener Angaben, in Wustermark, einem Nachbarort von Nauen, wohnen. Dave Trick unterhält auf dem Nauener Postamt das Postfach 1105 für die „Freien Kräfte Neuruppin / Osthavelland“. Darüber hinaus versuchte sich die Gruppe auch mit der regionalen Szene zu verbinden. Aus Nauen stießen beispielsweise auch Mike Nitz und Christoph Meinecke zur Gruppe. Weitere Neonazis, beispielsweise Nick Zschirnt, folgten aus der 18km entfernten, osthavelländischen Kleinstadt Ketzin/Havel.

Zwar gab es auch in Nauen schon Anfang der 1990er bis zum Beginn der 2000er Jahre erste Organisierungsansätze der lokalen Szene bzw. regional aktive Gruppen, kontinuierlich und großräumig aktiv waren diese jedoch nicht. Nennenswerte Aktionen blieben zudem ebenfalls aus. Lediglich die terroristische Vereinigung „Freikorps Havelland“, deren Anführer Christopher Hartley auch in einer Nauener Szenekneipe verkehrte und später auch an Neonaziaufmärschen in Neuruppin teilnahm, sorgte kurzzeitig für überregionale Schlagzeilen.
Der nachhaltige Aufbau von organisierten Strukturen in Nauen und Umgebung, begann jedoch erst mit dem Zuzug von Aktivist_innen der „Freien Kräfte Neuruppin / Osthavelland“. Diese schufen mit den seit 2010 jährlich veranstalteten „Mahnwachen“ zum 20. April einen wichtigen und vor allem kontinuierlichen Anlaufpunkt für die neonazistische Szene in der Stadt. Das Datum soll vorgeblich das Gedenken an den Bombenangriff auf Nauen im Jahr 1945 widerspiegeln, könnte aber auch ein Bezug auf den in Neonazikreisen begangenen Geburtstag von Adolf Hitler sein. Insofern zogen die jährlichen „Mahnwachen“ zum 20. April hauptsächlich auch nur bekannte Szenegänger*innen und organisierte Funktionäre an.

Freie Kräfte Neuruppin und NPD: Maik Schneider am 12. Februar 2015 in Nauen(Foto: Presseservice Rathenow)

Seit der Landkreis Havelland in Nauen jedoch den Bau einer Geflüchtetenunterkunft plant und diesbezüglich beabsichtigt ein geeignetes Grundstück dafür zu kaufen, eskalierte die rassistische Grundstimmung eines Teiles der Stadtbevölkerung. Am 12. Februar 2015 musste beispielsweise eiligst beorderte Bereitschaftspolizei die zunächst zugelassene Öffentlichkeit von einer Stadtverordnetenversammlung ausschließen, weil diese massiv die Veranstaltung störte und Tumulte ausgebrochen waren. Unter den Rädelsführern der Randale waren auch bekannte Aktivist_innen der „Freien Kräfte Neuruppin / Osthavelland“, wie Pierre Boddin, Dave Trick, Sebastian Allion, Maik Schneider, Christoph Meinecke, Mike Nitz und Nick Zschirnt.

Zwar wurde der Bau der Unterkunft mittlerweile beschlossen, die rassistisch motivierten Proteste dagegen gehen jedoch weiter. Am 14. März 2015 versammelte beispielsweise Pierre Boddin ungefähr 80 Neonazis bei einer Kundgebung gegen das Heim in Nauen und warb dabei auch für den „Tag der deutschen Zukunft 2015“ in Neuruppin. Am 16. April 2015 veranstaltete Maik Schneider einen rassistisch motivierten Aufmarsch mit 120 Personen durch die Stadt. Eine weitere Demonstration, die maßgeblich von den „Freien Kräfte Neuruppin / Osthavelland“ getragen wurde und ebenfalls rassistische Inhalte verbreitete, fand am 15. Mai 2015 mit 70 Teilnehmer*innen statt. Die vorerst letzte Demonstration gegen die Geflüchtetenunterkunft fand dann am 29. Mai 2015 statt. Zwar rief hierzu die latent rassistische Bürgerinitiative „Zukunft Nauen“ auf, Aktivist_innen der „Freien Kräfte Neuruppin / Osthavelland“, wie Maik Schneider und Nick Zschirnt, beteiligten sich trotzdem daran.

Aktivitäten in Wittstock/Dosse
Ähnlich wie in Nauen, empörte sich auch in Wittstock/Dosse die lokale Neonaziszene gegen die Unterbringung von Geflüchteten in „ihrer“ Stadt. Gemeinsam mit rassistischen Bürger_innen entstand dadurch im Herbst 2014 eine virtuelle Protestbewegung, die ihre Abneigung „gegen diese Asylpolitik“ in erster Linie in den sozialen Medien artikulierte.

Am 8. November 2014 kam es jedoch auch zu einer ersten öffentlichen Kundgebung. Diese wurde zwar von den „Freien Kräfte Neuruppin / Osthavelland“ organisiert und war hauptsächlich als Werbeveranstaltung für den „Tag der deutschen Zukunft 2015“ gedacht, zog jedoch neben den bekannten Neuruppiner und Wittstocker Neonazis auch Rassist_innen aus dem (augenscheinlich) bürgerlich Lager an, die dabei vor allem durch eine Kleider-Aktion auffielen. Mehrere Personen hatten sich nämlich mit einem Buchstaben versehene schwarze T-Shirts übergezogen, die aneinandergereiht die Parolen: „Asylflutaufhalten“ (vorne) und „Deutschland blutet“ (hinten) ergaben.

Allerdings ist die Wittstocker Szene nicht unbedingt von den „Freien Kräfte Neuruppin / Osthavelland“ abhängig. Sie kann auch eigenständig agieren. Zumal der momentan aktive harte Kern der Wittstocker Neonazis bereits seit Anfang der 2000er Jahre aktiv ist. Einzelne freilich schon seit den 1990er Jahren. Diese Personen gehörten dem alten NPD Kreisverband Prignitz-Ruppin an, der bereits 1999, 2001 und 2003 Aufmärsche in der Stadt abhielt. Anfang 2004 kehrte dieser Verband der Partei allerdings den Rücken, weil die NPD ihnen nicht mehr rassistisch genug erschien. Die Etablierung einer eigenen Organisation namens „Bewegung Neue Ordnung“ bzw. „Schutzbund Deutschland“, die u.a. am 14. August 2004 unter der Aktionsbezeichnung „Bund Nationaler Sozialisten“ in Wittstock/Dosse aufmarschierte, scheiterte jedoch spätestens 2006 mit dem Verbot dieser Strukturen. Auch die Verbindungen einiger Wittstocker zum „Nationalkollektiv Weiße Wölfe Terrorcrew“ aus Hamburg und die Etablierung jüngere Gruppen autonomer Nationalist*innen in der Dossestadt, konnte – im Hinblick auf politischen Aktivismus – lange keinen qualitativen Ersatz für die verbotenen Organisationen bilden. Doch mit der Debatte um die Unterbringung von Geflüchtetenin der Stadt hat sich die Wittstocker Szene allerdings wieder konsolidiert. Am 6. Dezember 2014, am 31. Januar 2015 und am 28. März 2015 in Wittstock/Dosse sowie am 23. Mai 2015 in Pritzwalk führte sie eigene, rassistisch motivierte Aufmärsche, die auch auswärtiger Neonazis zogen, durch. Bis auf eine Versammlung waren daran auch die „Freien Kräfte Neuruppin / Osthavelland“ beteiligt, welche die Chance nutzten die „besorgten Bürger_innen“ zu umgarnen und wiederholt für den „Tag der deutschen Zukunft 2015“ warben.

Freundschaftliche bzw. kameradschaftliche Beziehungen zwischen Neonazis aus Neuruppin und Wittstock/Dosse haben ohnehin eine längere Tradition. Sowohl beim KDS-Aufmarsch im Jahr 2007, als auch bei den Aufmärschen der „Freien Kräfte Neuruppin / Osthavelland“ seit 2009 liefen stets Wittstocker Neonazis mit. Umgekehrt versuchten auch die Neuruppiner freien Kräfte mit Unterstützung des örtlichen Milieus immer wieder selber in Wittstock/Dosse Fuß zu fassen, scheiterten dort aber beispielsweise mit einem Aufzug am 1. Mai 2012. Der Aufmarsch wurde durch Antifaschist*innen blockiert. Bei einem anschließend versuchten Ersatzmarsch in Neuruppin, griff eine Gruppe Neonazis, darunter auch Marvin Koch und Nick Zschirnt, ein alternatives Jugendwohnprojekt mit Flaschen und Steinen an.

Neonazis, darunter auch Freie Kräfte Neuruppin, griffen, nach einem Aufmarsch in Wittstock/DOsse, am 1. Mai 2012 in Neuruppin das “Mittendrin” an (Foto: JWP Mittendrin)

Expansion Richtung Prignitz

Freie Kräfte Prignitz: Marcel Kreime am 28. März 2015 in Wittstock/Dosse (Foto: Presseservice Rathenow)

Nach der kurzzeitigen Niederlage in Wittstock/Dosse zog es die „Freien Kräfte Neuruppin / Osthavelland“ dann vermehrt in den Landkreis Prignitz. Beatrice Koch soll demnach einige Monate in Wittenberge beheimatet gewesen sein, Marvin Koch für kurze Zeit in Pritzwalk. Bei letztgenanntem wurde am 4. Dezember 2013 auch eine Hausdurchsuchung durchgeführt, da er am 17. November 2013 in Hennigsdorf (Landkreis Oberhavel) einen de facto unangemeldeten Aufmarsch durchführte.

Trotz möglicher, rechtlicher Folgen dürften gerade solche aktionistische Aktivitäten auch ganz im Sinne militanter Neonazis aus dem Raum Wittenberge (Landkreis Prignitz) liegen, mit denen die „Freien Kräfte Neuruppin / Osthavelland“ seit 2013 anbandelten. Diese Gruppe, die sich seit 2014 „Freie Kräfte Prignitz“ nennt und sich um Marcel Kreime, Jan Blumenthal und Torsten Schröder sammelt, ist ebenfalls für unangemeldete Aktionen bekannt. Sowohl am 1. Mai 2009, als auch am 13. Februar 2013 marschierten beispielsweise mehrere dutzend Neonazis unangemeldet durch Wittenberge. Freundschaftliche Beziehungen seitens der Prignitzer Gruppe zu Neonazis aus dem Landkreis Ostprignitz-Ruppin bestanden aber bereits seit spätestens Mitte der 2000er Jahre. So marschierten am 14. August 2004 mehrere Neonazis aus dem Raum Wittenberge, u.a. Marcel Kreime, bei einem „Rudolf Hess Gedenkmarsch“ in Wittstock/Dosse mit. Seit 2010 liefen Kreime und Gefolgschaft auch bei den Aufmärschen in

Freie Kräfte Prignitz: Jan Blumenthal (1.v.l) und Torsten Schröder (2.v.l.) am 15. Mai 2015 in Nauen (Foto: Presseservice Rathenow)

Neuruppin mit. Die Beziehungen zu den „Freien Kräfte Neuruppin / Osthavelland“ intensivierten sich merklich jedoch erst seit 2013 und mündeten in einem Aktionsbündnis kurz vor dem „Tag der deutschen Zukunft 2013“. Bei der damaligen Abschlussdemonstration des TDDZ am 1. Juni 2013 in Wolfsburg (Niedersachsen) wurde dann auch ein gemeinsames Banner präsentiert, auf dem sich die Gruppe als „Freie Kräfte Neuruppin & Wittenberge“ bezeichnete. Hinter diesem Stofftuch liefen u.a. Marvin Koch, Pierre Boddin, Dave Trick, Marcel Kreime, Jan Blumenthal und Torsten Schröder.

Bisheriger Höhepunkt in der Zusammenarbeit beider Gruppen war Organisation eines Neonaziaufmarsches am 5. April 2014 in Wittenberge. Die Organisierung der Veranstaltung wurde allerdings hauptsächlich durch die „Freien Kräfte Neuruppin / Osthavelland“ getragen. Letztendlich scheiterte aber auch dieser Aufmarschversuch an den Menschenblockaden der Gegendemonstrant*innen.

Tag der deutschen Zukunft 2015 in Neuruppin
Wird der momentane Null-Toleranz-Usus der Brandenburger Polizei auch am 6. Juni 2015 beibehalten, liegen die Hürden für eine gleichartige Verhinderung des TDDZ allerdings sehr hoch. Hintergrund hierfür ist ein Urteil zu einem NPD Aufmarsch am 15. September 2012 in Potsdam. Die neonazistische Partei hatte damals gegen die Polizei geklagt, weil diese Menschenblockaden, welche die Marschroute sperrten, nicht auflöste und das Versammlungsrecht der Neonazis durchsetzte. Seit Ende 2014 lässt die Polizeiführung alle Versuche, Neonaziaufmärsche aufzuhalten, auch durch drastische Maßnahmen unterbinden. Das heißt aber nicht, dass es am 6. Juni 2015 keinerlei Versuche geben wird die Neonazis aufzuhalten. Im Gegenteil, Menschenblockaden sind fest eingeplant.

Auch die Neonazis „Freien Kräfte Neuruppin / Osthavelland“ rechnen offenbar ebenfalls mit der Ver- oder Behinderung ihres Aufmarsches und redeten bereits im Vorfeld die Bedeutung des Aufzuges herunter. Die Veranstaltung am 6. Juni 2015 sei nur die Abschlussdemonstration einer großen Kampagne, die mittlerweile seit einem Jahr geführt würde. Tatsächlich waren die Neuruppiner Neonazis und ihre Sympathisant*innen, seit dem letzten „Tag der deutschen Zukunft“ in Dresden emsig bestrebt an nahezu jedem Wochenende in diversen Städten und bei zahlreichen Szeneveranstaltungen im gesamten Bundesgebiet Präsenz zu zeigen.

Dies bedeutet jedoch auch, das am 6. Juni 2015 mit einem der größten Neonaziaufmärsche im Land Brandenburg zu rechnen ist. Mindestens 500 Neonazis aus dem gesamten Bundesgebiet werden dazu erwartet. Diese werden vermutlich dem gesamten neonazistischen Spektrum angehören, von NPD, über DIE.RECHTE und den „dritten Weg“ bis hin zu militanten Vereinigungen der Freien Kräfte. Insbesondere aufgrund der verstärkten Präsenz letztgenannter Gruppen ist also durchaus auch mit gewalttätigen Auseinandersetzungen und Überfällen, wie bei ähnlichen Veranstaltungen, zuletzt beim Neonaziaufmarsch am 1.Mai 2015 in Saalfeld/Saale (Thüringen), zu rechnen.

Die „Freien Kräfte Neuruppin / Osthavelland“ gelten zudem ohnehin als gewalttätig, wie die bereits darlegten Beispiele zeigen. Darüber hinaus wurde Marvin Koch erst Anfang Mai 2015 von einem Gericht in Pasewalk (Mecklenburg-Vorpommern) zu einer Bewährungsstrafe wegen Landfriedensbruch verurteilt, weil er im Oktober 2013 ca. 100 Neonazis mit den Worten: „Wir machen sie nieder“ aufforderte Polizeiketten zu durchbrechen. Das Urteil ist allerdings noch nicht rechtskräftig.

Quelle: https://linksunten.indymedia.org/de/node/144732

Recherche-Doku zu Neonazis in Westbrandenburg [2014]

Mit den „Freien Kräfte Neuruppin/Osthavelland“ ist nämlich bereits eine feste Organisationsstruktur entstanden, die mit dem Selbstbewusstsein eines Vereines auftritt und kontinuierlich an einem überegionalen, parteiunabhängigen neonazistischen Netzwerk in Westbrandenburg arbeitet.  Diese Struktur dürfte milieuintern auch durch die Ausrichtung des „Tages der deutschen Zukunft“ im Juni 2015 eine bundesweite Aufwertung erfahren. Es droht so nicht nur die Gefahr permanenter Großversammlungen, sondern auch eine, mit wachsendem Selbstbewusstsein zunehmende Radikalisierung zur Durchsetzung machtpolitischer Interessen, die immer größere Drohkulissen gegen Geflüchtete oder politische Gegner*innen erzeugen könnte. Die ersatzlose Auflösung der  „Freien Kräfte Neuruppin/Osthavelland“ ist deshalb mehr als nötig.

Quelle: https://linksunten.indymedia.org/de/node/138450